Leseproben


Typisch norddeutsch

Leseprobe 01 - Nasse Füße

 

"Erschöpft und in sich versunken stand der Hausherr in der Nähe eines bis an den Rand vollen Abzugsgrabens und versuchte sich zu erinnern, wann die Gräben schon einmal so voll waren, dass sie überliefen. So lange er denken konnte, hatte es solch ein Ereignis nicht gegeben. Der Sturm war inzwischen zu einem Orkan ausgewachsen und peitschte mit immer noch zunehmender Windgeschwindigkeit übers Land. Eine heftige Bö erfasste den kräftigen Mann und trieb diesen wie einen Spielball vorwärts, ohne dass er etwas dagegen machen konnte. Er wurde vom Sturm erfasst und stolperte vier, fünf Schritte in Richtung Graben. Er konnte sich unmöglich gegen diese Urgewalten der Natur stemmen oder sich gar festhalten. Die Windbö ließ erst von ihm ab, als er sich im Abzugsgraben wiederfand.

Das Wasser stand ihm bis unter das Kinn. Mit beiden Händen griff er verzweifelt in den Grabenrand, die Finger seiner Hand krallten sich wie bei einem Bagger in den aufgeweichten Wiesenboden, ohne dass er Halt fand. Der durchgeweichte Boden glitt ihm immer wieder durch seine Finger und er schaffte es nicht, sich aus der Notlage zu befreien. Er kannte die Abzugsgräben der Umgebung sehr gut und wusste genau, noch 20 Meter weiter und der Graben mündete in einen weiteren, erheblich tieferen Graben, in dem es für ihn noch gefährlicher würde. Es gelang ihm, sich für einen kurzen Augenblick in der Uferböschung festzukrallen, als der alte vermoderte Apfelbaum durch den Sturm umgeworfen wurde und sich mit dem Stamm über den Graben legte. Es war, als wollte er sagen: Du, Heinrich, du hast mir mein Leben gelassen, als auf mir keine Äpfel mehr wuchsen, heute kann ich dir helfen und lege mich für dich quer über den Graben, damit du deinem Schicksal entrinnen kannst. Langsam, ganz langsam, immer in der Uferböschung Halt suchend, kam er dem rettenden Baumstamm näher. Noch etwa einen Meter und er würde den Stamm erreichen, wenn nur nicht ein Schwall des überlaufenden Wassers ihn traf und wieder wegriss. Ja, er erreichte ihn. Er konnte beide Arme über den Baumstamm legen und es gelang ihm, seinen Oberkörper hochzuziehen und auf den Stamm zu legen. Ein Ruck und er bekam eine Wurzel des umgestürzten Baumes zu fassen und langsam, ganz langsam, konnte er sich aus der Umklammerung des reißenden Grabens befreien und sich über die Uferböschung wälzend auf das Land retten.

Schwer atmend lag er auf dem Rücken in dem flachen Wasser, welches bereits über die Ufer getreten war und sich in der Wiese zu einem großen See sammelte. Es war kalt, die nasse Kleidung klebte an seiner Haut und er begann zu schlottern. Er spürte die Kälte, wie sie von seinem Körper Besitz nahm. Heinrich raffte sich auf, stolperte einige Male, denn seine Glieder waren kalt und ungelenk, so ging er schweren Schrittes dem Haus entgegen, einen Stiefel hatte er beim Kampf im Graben verloren. Stöhnend öffnete er die knarrende Tür und betrat die Waschküche, so sagt man zu dem Raum, in dem es nicht so aussieht wie im Wohnzimmer. Es standen dort einige Waschmaschinen und Trockner und eine Vielzahl von Regalen an den Wänden. Swen hatte den Opa schon vermisst und hörte nun die knarzende Waschküchentür. Er rannte los und sah seinen Opa in dem Raum stehen, wie er diesen noch nie gesehen hatte.

Heinrich hatte bereits Hemd, Hose und Unterwäsche ausgezogen und bis auf die Strümpfe stand er nackt in diesem unwirtlichen Raum. Das Wasser rann aus der auf dem Boden liegenden Kleidung und der Opa stand inmitten der Pfütze auf dem nackten Fliesenboden."

 


Postbuch 04

Leseprobe 02 - Eine Leiche im Keller

 

Das Überqueren der stark befahrenen Straße erforderte ihre ganze Konzentration und so bemerkte sie nicht, dass sie bereits erwartet wurde. Alfred, der am Fenster seines Wohnzimmers stand, hatte sie sofort erkannt. Sie nahm den Haustürschlüssel, den sie in ihrer Handtasche gut versteckt hatte und öffnete die Haustür. Die wenigen Treppenstufen sprang sie leichtfüßig hinauf, dann stand sie vor der Wohnungstür und damit direkt vor ihren ganzen Problemen. Ihr klopfte das Herz, als sie die Wohnung betrat und sah, wie ihr Sohn sie überrascht anschaute. „Da ist die Familie ja jetzt komplett“, sagte Alexander. „Dann können wir über das Geld für euren Sohn sprechen.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurde sein Kopf nach links und anschließend schnell nach rechts geschleudert. Er fiel zu Boden und lag vor dem Kühlschrank. Alexander war benommen und benötigte einige Sekunden, bis er begriff, dass er soeben zwei Faustschläge kassiert hatte. „So also behandelt ihr euren Sohn, wenn er das will, was ihm sowieso zusteht.“ Noch immer war ihm nicht klar, dass er seine Grenzen maßlos überschritten hatte. Schon griffen Alfreds kräftigen Hände wieder nach ihm und zogen ihn an seinem Hemd hoch. Alexander stand kurz, um sofort danach einen heftigen Kinnhaken zu bekommen, der ihn kurz bewusstlos werden ließ. Seine Mutter schrie auf und wollte zu ihm, aber Alfred hielt sie zurück. „Lass ihn, er kommt gleich wieder zu sich.“ Es dauerte eins, zwei Minuten und Alexander hob langsam den Kopf. Er blutete am Mund. Langsam gelang es ihm, den Oberkörper aufzurichten. Er lehnte den Rücken an die Wand und hatte sichtlich Mühe, sich zu orientieren, die Beine zitterten noch. „Steh auf, sonst breche ich dir sämtliche Knochen im Leib!“ Alfred drohte ihm weiter und es war unmissverständlich, dass dieser es ernst meinte. Es gelang ihm, sich auf einen Stuhl hochzuziehen. „So, nun hörst du mir einmal zu! Deine Eskapaden machen wir nicht mehr mit! Wir, das sind dein Vater, der im Krankenhaus liegt, deine Mutter und ich, dein Onkel!“ Alfred hatte sich soeben als sein Onkel bezeichnet. Alexander mochte es nicht glauben. Das konnte doch nur eine Schutzbehauptung sein! Er überschlug sich in seinen Gedanken und erkannte, dass er mit seinem Egoismus und seinen ewigen Forderungen nicht mehr weiterkommen würde. „Woher soll ich dann zukünftig Geld bekommen, wenn ihr mir nichts mehr gebt?“ „Du musst eben arbeiten, wie es andere Menschen auch machen.“ „Und was ist mit meinem Erbteil?“ „Du hast bereits mehr bekommen, als dir zusteht!“ „Und wer soll das ganze Geld am Ende bekommen?“ „Darum musst du dich nicht mehr kümmern. Du hast einen jungen Menschen zum Krüppel gefahren!“ „Er ist selbst schuld daran! Warum ist er mitgefahren und hat sich dabei nicht richtig festgehalten?“ Jetzt stürzte Alexanders Mutter wutentbrannt auf ihren Sohn zu, um ihn zu attackieren. Alfred hielt sie zurück. „Lass es, er ist es nicht wert!“